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Der Untergang der Ringparabel

Eines meiner Lieblingsstücke aus dem Leistungskurs Deutsch ist Lessings „Nathan der Weise“. Dort stellt Sultan Saladin dem weisen Nathan die Frage, welche Religion die „wahre“ sei. Nathan antwortet mit der weltbekannten Ringparabel, in welcher drei Ringe die drei großen monotheistischen Weltreligionen darstellen. Einer der Ringe ist das Original, zwei andere eine nahezu identische Kopie. Der Träger des „wahren“ Ringes soll daran erkannt werden, dass er „beliebt vor Gott und den Menschen“ wird. Da alle drei Träger der Ringe aber gleich gut leben und gleich gut handeln, sind alle beliebt vor Gott und den Menschen. Der Träger des „wahren“ Ringes kann nicht erkannt werden und der originale Ring nicht mehr von den Duplikaten unterschieden werden. Die Ringparabel steht für die Möglichkeit einer friedlichen und toleranten Koexistenz aller Religionen, solange die Gläubigen, egal welcher Religionen, ihre eigene anständig und friedlich ausleben und ein gutes Leben führen.

Was ist nur aus dieser Weisheit geworden? Wo sind die Nathans von heute?

Die GMX-Startseite begrüßt mich mit Trash-News wie „Terror im Namen Allahs“. Von einer friedlichen Koexistenz der Religionen kann wohl keine Rede sein. Dass sich Gläubige aller möglichen Religionen gegenseitig bekämpfen ist ein großes Problem. Ein anderes Problem jedoch ist, dass viele Auseinandersetzung eben nicht im Namen einer Religion stattfinden, sondern im Namen ein paar Wahnsinniger. Da es aber leichter ist alle über einen Kamm zu scheren als sich differenziert mit dem Problem zu befassen, wird aus einem Terroranschlag verrückter Extremisten eine Kriegserklärung aller Moslems an den Westen.

Neben den Angehörigen der Opfer der Terroranschläge in Paris und natürlich der hochgeschätzten und hart erkämpften Pressfreiheit, sind es wohl die Angehörigen des muslimischen Glaubens, die am meisten unter den Folgen zu leiden haben. Denn all diese werden nun, mal wieder, schief angeschaut. Nun wird von Moslems weltweit erwartet, sich den Geschehnissen öffentlich zu distanzieren. Ich frage mich: Warum sollten sie? Warum sollten sie sich von etwas distanzieren, welchem sie nie zugestimmt haben? Es war nicht ein Angriff von Moslems auf Paris sondern von extremistischen Terroristen. Ganz im Gegenteil werden die Muslime diesen Anschlag umso mehr verurteilen, da ihr Leben nun von noch mehr Diskriminierung und Intoleranz geprägt ist.

Doch wenn nicht die Muslime schuld an allem übel sind, wer ist es dann? Sind die Karikaturisten schuld am Tod ihrer Kollegen? Wohl kaum. Journalismus soll und muss provozieren. Das Recht auf Pressefreiheit steht außer Frage. Verantwortlich sind ganz einfach diejenigen, welche die Tat durchgeführt haben.

Allerdings bedeutet Pressefreiheit auch die Freiheit zu haben, manche Dinge nicht zu veröffentlichen. Es bedeutet die Freiheit zu haben, die Religionsfreiheit zu respektieren, auch wenn man selbst nicht gläubig ist. Eine Woche nach den Anschlägen veröffentlicht „Charlie Hebdo“ eine neue Ausgabe. Die Überschrift des Titelblatts lautet „Alles ist vergeben“, darunter ist ein weinender Mohammed zu sehen, der ein Schild hält mit der Aufschrift „Je suis Charlie“.

Hier stelle ich mir die Frage: Geht´s eigentlich noch? Ganz eindeutig werden die Terroranschläge in Zusammenhang mit einer Glaubensgruppe gebracht, dessen Prophet anscheinend alles vergeben hat. Wem hat er vergeben? Den Karikaturisten? Seinen Glaubensanhängern? Oder etwa den Terroristen?

Meine Großmutter ist praktizierende Christin. Sie sagte zu mir, dass sie die Anschläge schwer verurteilt und die Opfer betrauert. Sie sagte aber auch, dass sie es als provozierend und verletzend empfinden würde, wenn sie eine Karikatur von Jesus veröffentlicht sähe. Macht dies meine Großmutter zur Terroristen-Sympathisantin? Natürlich nicht. Würde die gleiche Aussage von einer muslimischen Großmutter stammen, sähe die Sache wahrscheinlich anders aus...

Ein weiterer interessanter Artikel zum Thema: http://www.dw.de/gastkommentar-je-suis-nigeria/a-18189904

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